Reformation - Umgestalten, verbessern, wiederherstellen
(Predigt zum Reformationstag - ein Statement von Matthias Schrank)
Predigttext: Galater 5,1-6
Liebe Gemeinde heute am Reformationstag,
Freiheit, darum geht es hier. Freiheit vor dem Gesetz.
Bedingungslose aber nicht grundlose Freiheit.
Was meine ich bzw. was meint Paulus damit. Er geht ja ziemlich lange auf das Thema Gesetz und Beschneidung ein.
Nun, relativ einfach: Wer sich beschneiden lässt, bekennt sich zum Judentum. Das ist an und für sich ja nichts Schlechtes. Gleichzeitig aber unterwirft sich derjenige auch allen jüdischen Gesetzen, von denen sich eine Vielzahl in der Thora finden, wir brauchen ja nur in die Mosebücher unserer Bibel zu schauen, um davon eine Ahnung zu bekommen. Und, das Judentum an und für sich erkennt Jesus nicht als Messias an. Die Freiheit, die Christus schenkt, ist also für Leute verloren, die sich eigentlich zum Judentum bekennen.
Klar, Paulus polarisiert hier etwas. Wenn wir Petrus fragen würden, wäre die Aussage vermutlich ein wenig anders gehalten, aber sei‘s drum. Es geht um die Freiheit eines Christenmenschen vom Gesetz und zwar vom buchstäblichen Gesetz.
Die Freiheit, die wir in und mit Jesus Christus finden. Er ist der Grund und der Boden dieser Freiheit. Oder „der Weg und die Wahrheit und das Leben“, wie er an anderer Stelle sagt.
Umgekehrt heißt das aber auch: nur, wenn ich mich auf diesem Grund und Boden bewege, habe ich die christliche Freiheit. Der Grund und Boden aber ist nichts anderes als der Glaube. Das wiederum schließt Beliebigkeit aus.
Oder wie Paulus sagt: Bei ihm, also bei Gott bzw. Jesus, gilt allein der Glaube, der sich in Taten der Liebe zeigt.
Wie also gesagt, keine Beliebigkeit, sondern Handeln auf der Grundlage des Glaubens und der Liebe.
Nun werden manche von Ihnen vielleicht sagen: Klar, Gesetzlichkeit, die am Buchstaben klebt wie z.B. in der Thora, die liegt uns doch völlig fern…
Ist das wirklich so?
Wir begehen heute den Reformationstag und das Reformationsfest.
Reformation, das Wort kommt, wie könnte es anders sein, aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie: Umgestalten, verbessern oder auch wiederherstellen.
In der Kirche gab es, angefangen bei Petrus und Paulus, bis hin zu Martin Luther immer wieder Prozesse dieser Reformation. Nicht umsonst gab und gibt es eine Vielzahl von christlichen Konfessionen und Glaubensrichtungen neben römisch-katholisch und lutherisch.
Manchmal aber bekomme ich den Eindruck, mit der Abspaltung unserer lutherischen Kirche hat sich der Prozess der Umgestaltung, Verbesserung und Wiederherstellung für uns erledigt.
Aber, hat er das wirklich?
Ich meine, auch wir Lutheraner blicken auf eine gut 500jährige Geschichte zurück. Unsere Gemeinde hier hat bald ein dreiviertel Jahrhundert hinter sich und selbst die momentane Struktur mit unseren vier Gemeindeteilen hat nicht mehr lange bis zum halben Jahrhundert.
War wirklich alles, was in dieser langen Zeit geschehen, gesagt, gedacht und geplant wurde so gut und erhaben, dass nicht so manches einer Umgestaltung, Verbesserung oder auch einer Wiederherstellung bedarf?
Ich denke, in den letzten Monaten und Jahren haben vielen Menschen gemerkt, dass dem nicht so ist. Es braucht einen Prozess der Reformation. In der Gemeinde, im Dekanat, auf Landeskirchenebene und Deutschlandweit.
Was dabei herauskommt?
Das ist schwer zu sagen. Ich kann und will an dieser Stelle keine Lösungen anbieten. Dazu ist der Kirchenvorstand da. Und der Dekanatsausschuss und die Landessynode.
Was beileibe nicht heißen soll, dass sich nicht jede und jeder von uns auch Gedanken machen kann und soll. Mit all diesen Gremien kann man reden. Es gibt Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, auch bei uns hier.
Aussagen wie: Das war schon immer so! Sind der Tod jedes Reformationsprozesses, das sollte jedem klar sein. Sollte...
„Wenn dein Pferd tot ist, steig ab.“ heißt es bei den Dakota-Indianern.
Was damit gemeint ist, wissen wir, doch oft wollen wir es nicht wahr haben. Stattdessen wenden wir neue Kriterien an, z.B.
- Wir besorgen eine stärkere Peitsche.
- Wir wechseln den Reiter.
- Wir bilden einen Arbeitskreis, um das tote Pferd wiederzubeleben.
- Wir ändern die Kriterien, die besagen, ob ein Pferd tot ist.
- Wir kaufen Leute von außerhalb ein, um das tote Pferd zu reiten.
- Wir erklären, dass ein totes Pferd von Anfang an unser Ziel war.
Um nur ein paar Dinge zu nennen. Die Folgen davon sind bekannt. Aber akzeptieren, dass etwas vorbei ist…? Ein schwieriger und trauriger Prozess. Doch vielleicht wäre es manchmal besser, den kurzen Stich der Wahrheit zu ertragen, als den endlosen Schmerz der falschen Hoffnung.
Welches sind unsere toten Pferde?
Paulus spricht von Freiheit, statt der Gebundenheit an das gestrige Gesetz „es war schon immer so!“
Freilich eine Freiheit auf der Grundlage des Glaubens, der sich in Taten der Liebe zeigt.
Vielleicht also sollte die Aussage Luthers: „Was Christum treibet!“ nicht nur Maßstab für die Heilige Schrift sein, sondern auch für die Gemeinde Christi. Gut, wichtig und richtig ist etwas, wenn es Christus zum Mittelpunkt hat. Das könnte einer der Maßstäbe sein, wo denn ein totes Pferd liegt.
Verbunden natürlich mit einem anderen Grundprinzip Christi: Er ging von Beginn an zu den Menschen. Hat sie eingeladen, hat sich eingeladen. War am alltäglichen und besonderen Leben beteiligt. Kurz gesagt, er war nahe am Menschen und nahe am Leben.
Jesus Christus als Mittelpunkt einer Gemeinde, einer Kirche, einer Konfession…
Klar würden vermutlich alle hier sagen, „Ja, Jesus ist unser Mittelpunkt.“
Aber ist das wirklich so?
Ich meine, worum geht es denn bei vielen unserer Diskussionen hier vor Ort?
Nehmen wir die Frage der Gottesdienste.
Sollen wir den Gottesdienstplan mit all den Zeiten und der Häufigkeit lassen? Wohl wissend, dass wir mit so einem Gottesdienst zwischen ein und zwei Prozent unserer Gemeindeglieder erreichen.
Was ist mit den anderen 98 bzw. 99%?
Andererseits ist der Gottesdienst der Kristallisationspunkt von Gemeinde in Raum und Zeit, in dem wir mit Gott ins Gespräch kommen können. Wenn wir also hier anfangen zu kürzen, was bleibt dann irgendwann noch von Gemeinde?
Nehmen wir die Struktur unserer Gemeinde.
Was macht 1+1+1+1 ?
Eine Gemeinde? Dann gibt es mache Dinge halt nur an einem Ort, in Adelsried, z.B. arbeitsökonomisch ist das oft gar nicht anders zu machen.
Und die Zusser, die Dinkelscherbener und selbst die Weldener? Die haben Pech, denn die Menschen dieser Orte haben nunmal im täglichen Leben nichts gemein, warum sollten sie also als Gemeinde was gemeinsam haben?
Sind wir also eine Gemeinde oder eigentlich vier Gemeinden?
Für beide Sichtweisen gibt es Pro- und Contra- Argumente.
Nehmen wir, abgeleitet von der Struktur, die Gebäudefrage.
Gemeinde braucht Orte der Identifikation und der Versammlung. Viele Menschen sind außerdem mit vielen Gebäuden verbunden, persönlich und aus der Geschichte heraus. Alle unsere Gebäude haben ihren jeweils eigenen Charme.
Andererseits sind ab letztem Jahr für alle unsere Gebäude Abschreibungen fällig. Ob die nun nur auf dem Papier existieren oder in barer Münze fällig sind, egal. Sie treiben unseren Haushalt kräftig ins Minus. Hinzu kommen laufende Kosten, Instandhaltung und Erbpacht, die ebenfalls von uns getragen werden müssen. Was also tun? Und wie?
Durch Christus sind wir frei geworden, damit wir als Befreite leben, schreibt Paulus. Jetzt kommt es darauf an, dass ihr euch nicht wieder vom Gesetz versklaven lasst.
Es muss also ein Nachdenken stattfinden und es müssen Gespräche geführt werden. Viele Gespräche.
Vielleicht wichtiger als das, was dabei irgendwann herauskommt, ist mir, im Moment jedenfalls, das wie und das worüber gesprochen wird.
Ich habe gerade drei exemplarische Punkte genannt, an denen m.E. Reformation geschehen müsste. Ich habe auch versucht, verschiedene Standpunkte kurz zu umreißen. Es gibt für alles Argumente in die eine oder die andere Richtung, oftmals sogar noch in viele weitere Richtungen. Und selten sind alle Beteiligte einer Meinung. Die Frage ist: Wie werden Meinungsverschiedenheiten gehandhabt?
Offen und fair? Gleichberechtigt und konstruktiv? Respektvoll?
Was ich derzeit wahrnehme, ist das genaue Gegenteil.
Es wird hintenherum geredet. Es wird angefeindet. Es wird sich massiv im Ton vergriffen. Es werden Steine in den Weg gelegt. Es werden Allianzen geschmiedet.
Ich muss ganz ehrlich sagen, ich war bei der Vorbereitung dieser Predigt teilweise einfach nur verzweifelt und am Ende meiner Kräfte und meiner Sprachfähigkeit.
Wenn nicht alle ein gutes Stück zurück rudern, gibt es hier bald keine Basis mehr, nicht als Gemeinde, nicht als Gläubige und nicht als Menschen miteinander.
Hand in Hand mit der Kommunikation geht die Frage um das „worüber gesprochen wird“ oder anders gesagt: „Worum geht es eigentlich?“
Geht es bei der Frage der Gottesdienste denn wirklich um den Gottesdienst? Oder geht es eigentlich um die Frage: „Wer legt denn fest, wann und wo Gottesdienste gefeiert werden, ob sogar einmal ein Gottesdienst ausfällt?“ Also geht es nicht eigentlich viel eher um die Machtfrage?
Wie gerne teilen wir dabei die Menschen oder Gruppen auf: die einen, die sich nehmen, was sie wollen und sich verhalten, wie sie wollen, und die anderen, die darunter leiden. Und die dann nach einem Retter rufen. Einem, der alles wieder ins Lot bringt. Einem Pfarrer.
Ich habe schlechte Neuigkeiten: Wir haben aktuell (de-facto) keinen Pfarrer. Nur einen halben Springer. Und ob der sich wirklich auf dieses Spiel einlassen will…? Denn letztlich kann es dabei keine Gewinner geben, sondern es werden immer neue Verlierer produziert. D.h. es kann keinen solchen Retter in Menschengestalt geben!
Der einzige Weg ist, dieses Dramadreieck zu durchbrechen. (Siehe Transaktionsanalyse)
Durch Gespräche miteinander. Durch konstruktive Zusammenarbeit. Durch Streiten auf der Sachebene und hinterher auf der persönlichen Ebene ein Bier trinken gehen. Und durch die Ausrichtung auf ihn, auf Jesus Christus. Denn, wenn wir mit Jesus Christus verbunden sind, ist es völlig gleich, ob wir beschnitten oder unbeschnitten sind. Ob wir aus Adelsried kommen, aus Welden, Zus oder Dinkel. Bei ihm gilt allein der Glaube, der sich in Taten der Liebe zeigt.
Und noch etwas. Egal, wer an der Spitze einer Gemeinde steht oder einer Kirche. Die Retterrolle gebührt allein ihm, Jesus Christus. Er ist unser aller Retter, in Zeit und Ewigkeit. Amen.
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